Die Tonika als mit Quinte im Bass und der Vorhalts-Quartsextakkord

von Ulrich Kaiser

Das folgende Beispiel in F-Dur enthält drei tonikale Akkorde, wobei nur dem letzten tonikalen Akkord aufgrund der vorhergehenden Kadenz, der Oktavlage (= Oktave zwischen Sopran und Bass) und der tiefen Basslage eine Schlusswirkung zukommt:

Beispiel 1 zum tonikalen Quartsextakkord

Wenn Sprünge im Bass vermieden werden sollen, besteht die Möglichkeit, den Bass durch Verwendung eines subdominantischen Sextakkords und einen tonikalen Quartsextakkord linear zu gestalten:

Beispiel 2 zum tonikalen Quartsextakkord

Der Quartsextklang, der im Beispiel oben als tonikaler Quartsextakkord bezeichnet worden ist, gleicht vom Aussehen her einem dominantischen Akkord (C) mit Doppelvorhalt (a zu g und f zu e, Vorhalts-Quartsextakkord). Dass dieser Quartsextklang auch als dominantischer Vorhalts-Quartsextakkord interpretiert werden kann, verdeutlicht das nächste Beispiel. Es unterscheidet sich vom vorherigen nur durch den dominantischen Beginn, doch liegt es hier nahe, die Quartsextakkorde als dominantisch zu interpretieren:

Beispiel 3 zum tonikalen Quartsextakkord

Denn der Dominantton (c) wird umspielt (d-c-b-c), wobei zu den Umspielungstöne d und b subdominantische Akkorde erklingen. Gegen diese Interpretation würde zwar die metrisch leichte Zeit (die zweite Zählzeit im 4/4-Takt) der Quartsextakkorde sprechen, da Vorhalte im Allgemeinen und der Vorhalts-Quartsextakkord im Besonderen üblicher Weise auf schwerer Taktzeit erklingen. Für diese Interpretation sprechen allerdings Literaturbeispiele wie z.B. eine Stelle aus der Arie »Saepe terrent Numina« des lateinischen Intermediums »Apollo et Hyazinthus« KV 38 von Wolfgang Amadeus Mozart, wo der oben gezeigte Bass mit einem eindeutigen dominantischen Quartvorhalt anstelle des Quartsextakkords erklingt (Original in B-Dur):

Beispiel 4 zum tonikalen Quartsextakkord

Ob tonikaler Quartsextakkord oder dominantischer Vorhalts-Quartsextakkord: An einem einzelnen Akkord lässt sich diese Frage leider nicht sinnvoll entscheiden. Ob man einen Quartsextakkord, der von zwei subdominantischen Klängen eingerahmt wird, als Dominante oder Tonika interpretiert, lässt sich nur über das Hören bestimmen.
Das letzte Beispiel zeigt einen zweimaligen Anlauf zu einer Kadenz. Beide Anläufe beginnen mit einem tonikalen Sextakkord und zwischen den Subdominanten im dritten Takt erklingt ein tonikaler Quartsextakkord (bzw. dominantischer Vorhalts-Quartsextakkord). Lassen sich diese Quartsextakkorde noch auf verschiedene Weise interpretieren, ist die Funktion der Quartsextakkorde im vorletzten Takt des Beispiels eindeutig bestimmbar: Hier handelt es sich um dominantische Vorhalts-Quartsextakkorde:

Beispiel 4 zum tonikalen Quartsextakkord

Beispiel 5 zum tonikalen Quartsextakkord

Beispiel 6 zum tonikalen Quartsextakkord

Das letzte Beispiel entstammt der Sonate in C-Dur KV 14, 1. Satz, T. 23-30 von W. A. Mozart. Der Einfacheit halber wurde nur die Klavierstimme (ohne Violin- und Violoncellostimme) abgebildet.